Traditionelle Hilfsbereitschaft
Nach einer Weile friedlichen Arbeitens zeigten sich wieder mürrische Verhaltensmuster in Sagas Art, wie sie die Haushaltsverrichtungen anging. Es gab Unstimmigkeiten und nörgelnde Bemerkungen, die alle auf Unzufriedenheit hindeuteten. Irgendwann konnte Saga nicht mehr an sich halten und erzählte von ihren neuen Sorgen.
„Eine Nichte ist mit ihrer 5-jährigen Tochter bei mir eingezogen, weil ihr Freund sie rausgeschmissen hat. Er hat sie angefleht, dass sie zu ihm ziehen soll und bei ihm wohnen soll. Alle haben ihr davon abgeraten, denn er hat sie schon mal schlecht behandelt. Schließlich ist sie doch zu ihm gezogen, hat sogar eine Arbeitsstelle in Swakopmund gefunden, aber er hat sie jetzt rausgeworfen und sich eine Neue genommen. Nun wohnt sie bei mir und trägt nichts zum Haushalt bei. Die Tochter von ihr hat aber immer Hunger und jammert – und ich kann wieder für alle sorgen.“
E. erkundigte sich: „So, und wie lange will sie nun bei Dir wohnen?“
Saga: „Ich habe ihr gesagt, sie könne nur bis zum Ende des Monats bei mir wohnen und sie hatte auch versprochen, sich ein Haus zu suchen. Aber sie findet keines und zieht auch nicht aus.“
E.: „Ich glaube nicht, dass sie überhaupt Anstrengungen macht, eine andere Unterkunft zu suchen. Ihr geht es doch gut bei dir. Sie lebt umsonst, hat zu Essen, ihr Kind wird umsorgt, sie braucht kein Waschpulver zu kaufen – ist doch prima. Warum soll sie ausziehen wollen? Du hast gesagt, daß sie eine Arbeitsstelle hat. Dann lass sie zum Unterhalt beitragen und Miete zahlen. Was meinst du, wie schnell sie weg ist.“
Saga: “Sie hat kein Geld. Ihr Geld hat sie sofort für persönliche Sachen ausgegeben und hat nun nichts übrig. Ihr Kind plärrt aber schon los, kaum dass ich zu Hause bin. Das einzige, was dieses Kind dauernd sagen kann, ist: Ich habe Hunger, ich habe Hunger.“
E.: „Saga, ich habe dir schon mal gesagt, dass du dir deine Leute erziehen musst, denn anscheinend wurden sie nicht erzogen. Gib ihr eine Frist und halte dich selbst dran. Danach wirfst du sie einfach raus. Sie kann ja mit ihrem Verdienst dahin gehen, wo sie herkam. Wenn sie nicht selbst für sich in Swakopmund sorgen kann, muss sie zurück ins Inland.“
Saga: „Was mich wieder am meisten böse macht, ist, dass sie nichts im Haushalt tut. Sie kocht nicht mal den Brei für ihr Kind oder für uns. Sie geht nur einmal in der Woche zur Arbeit und sonst tut sie gar nichts. Sie hört nicht mal hin, wenn ihr Kind nach Essen jammert. Neulich hat sie abends den Topf leer gegessen, obwohl wir alle unsere Portion hatten. Der Rest sollte morgens für ihr Kind sein und für Susa, damit sie nicht hungrig zur Schule muss. Alles hat sie leer gegessen und denkt kein bisschen an die Kinder.“
E.: „Ich sage wieder: Setze ihr ein Ultimatum und schmeiße sie rigoros raus! Jeder muss für sich selbst sorgen. Wahrscheinlich hat sie auch bei ihrem Freund nichts getan und er hat sie deshalb rausgeworfen.“
Saga: „Ich denke das auch. Ich werde mich mal mit der Familie in Walvis-Bay in Verbindung setzen. Vielleicht haben sie Holzplatten übrig, damit sie sich in DRC eine Wohnung bauen kann.“
– Der Stadtteil DRC wurde nach der Demokratischen Republik Kongo benannt, weil die Einwohner sich darüber empörten, dass der Präsident Geld für den Krieg im Kongo bereit stellte, aber kein Geld für bessere Wohnmöglichkeiten für die Bewohner im eigenen Land vorhanden sei.
Der allgemeine Familienrat ergab, dass jeder helfen wollte, aber keiner Anstalten zur Tat zeigte. Inzwischen zeigten sich Emma und der ungebetene, aber doppelt aufdringliche Gast solidarisch in ihrer Auflehnung gegen Sagas Vorstellungen von Mithilfe im Haushalt. Emma stand wieder in telefonischen Kontakt mit ihrem arbeitslosen Liebhaber und knüpfte neue Bande, was von Nichte kräftig unterstützt wurde. Außerdem verlängerten sich die abendlichen Unternehmungen, bis beide Fräuleins sogar ein ganzes Wochenende wegblieben, während sich Saga um das Baby und das nörgelnde, nimmersatte Kind kümmern durfte.
Als sich beide Lebedamen wieder blicken ließen, begegnete ihnen Saga in Form eines Feuer speienden Drachen. Sie gab beiden das Ultimatum von einer Woche, in der sie sich entweder dem Haushalt und den häuslichen Pflichten verpflichten müssten oder beide aus ihrem Leben verschwinden mögen. Jedenfalls sei sie keinesfalls mehr gewillt, die Verantwortung für ihren Nachwuchs zu übernehmen.
Emma zeigte sich sehr schnell reuevoll und gelobte Besserung. Dies zeigte sie auch, indem sie brav von ihrem Verdienst zu den Essensvorräten beisteuerte. Die liebe Nichte machte auch Anstalten, sich am gemeinsamen Unterhalt zu beteiligen und gab einen kleinen Teil ihres Verdienstes her, um die Vorräte aufzufüllen. Allerdings waren ihre Glieder nicht gleich allzu willig, auch in der Hausarbeit mit anzupacken. Schon bald gab es auch wieder die zwei Fronten im Haushalt, denn Emma konnte den vorgelebten Versuchungen ihrer Nichte einfach nicht widerstehen.
E. bestärkte Saga darin, zu zeigen, dass sie immer noch das Sagen im Haushalt habe. Auch der Vermieter Sagas sah, dass Saga zu gutmütig war, um die parasitische Verwandtschaft hinauszuwerfen. Endlich drohte er damit, die Miete drastisch anzuheben, weil durch die zusätzliche Bewohnerin zusätzliche Ausgaben bei der Strom- und Wasserrechnung entstünden. Notfalls würde er die Garage für eigene Zwecke benötigen; dann müsse Saga sich eine neue Bleibe suchen.
Ganz geknickt und von Sorgen gebeutelt konnte Saga sich kaum noch auf ihre Arbeit konzentrieren. E. Versuchte sie zu trösten:
„Hör mal, Saga, dein Vermieter ist genauso auf deine Hilfe angewiesen, wie du auf die Wohnung. Er braucht die Garage bestimmt nicht und will dich eigentlich gar nicht loswerden. Er hofft nur, dass du durch den Druck von ihm dazu gebracht wirst, endlich doch das Ultimatum einzuhalten und die Nichte mit ihrer Tochter raus wirfst.“
Saga erklärte, dass ihre Tradition nicht zuließe, dass man einfach so jemanden von der Familie auf die Straße setzen könne.
E. wurde nun richtig zornig: „Lässt eure Tradition es zu, dass man verspricht, sich um eine eigene Wohnung zu kümmern und es dann doch nicht tut? Lässt eure Tradition es zu, dass man Versprechungen nicht einhält oder dass man auf deine Kosten lebt, aber nichts zum Haushalt beiträgt, obwohl man selbst Geld verdient? Lässt eure Tradition es zu, dass immer du für die anderen aufkommen musst und niemand aus der Verwandtschaft hilft? Lässt eure Tradition es zu, dass der Mann sich die Frau holt, mit ihr ein Kind hat und sie dann raus wirft? “
Saga erklärte: „Die Nichte hat noch zwei Kinder von anderen Männern. Darum kümmert sich die Verwandtschaft im Inland, aber sie wollen die Kinder auch nach Swakopmund schicken, das heißt zu mir. Da habe ich aber gesagt, dass ich dann ganz bestimmt vom Vermieter rausgeschmissen werde.“
E.: „Mit Recht! Ich hätte dich auch nicht haben wollen, wenn durch die Miete die ganze Familie einzieht. Wie lange willst du das denn noch aushalten – ohne Geld, ohne Zugaben und dann noch mit Sorgen um Emma, die wieder falsch beeinflusst wird? Ich sage noch mal: Verlange Miete und Haushaltsabgaben, dann zieht sie von selbst aus!“
Das Weihnachtsfest verlief mehr als dürftig. E. zeigte sich nicht so großzügig wie sonst, um bei der Nichte keine falschen Vorstellungen von einer immer fließenden Nahrungsquelle zu wecken. Saga litt wie noch selten zuvor und baute einen immer größer werdenden Groll auf. Sogar ihre Verwandtschaft war sich mittlerweile einig, dass es nicht Sagas Pflicht sei, die Nichte zu beherbergen oder zu versorgen, aber niemand war willig, für Saga ein Machtwort zu sprechen.
Endlich gab es einen Lichtblick. Der Freund der Nichte bat sie, wieder zu ihm zurückzukommen. Er war der neuen Geliebten überdrüssig und erinnerte sich wieder ihrer Tugenden oder suchte ganz einfach die erneute Abwechslung. Saga ermunterte die Nichte schleunigst, den Lockrufen der wechselhaften Gelüste des Geliebten zu folgen, indem sie doch auf feste Wohngeldbeiträge drängte. Da zog die liebe Nichte davon… um ein paar Tage später vorsichtig wieder nachzufragen, ob sie noch mal von der Gastfreundschaft Sagas Gebrauch machen dürfe.
Saga wuchs über sich selbst hinaus: „Bei mir wohnst du nie wieder, egal was kommen mag. Du hast mich einmal ausgenutzt, nun suche dir jemand anderen!“
Erst jetzt hörte sie von der Verwandtschaft im Inland, warum auch sie nie wieder der lieben Nichte ein Zuhause bieten wollten. Sie hatten die gleiche Erfahrung gemacht, wie Saga, indem sie mit dieser faulen und gefräßigen Mitbewohnerin aufgesessen waren.
Und noch etwas Gutes brachte die leidvolle Erfahrung: Als Sagas schwerhörige Schwester sich entschloss, ganz nach Swakopmund zu ziehen, weigerte sich Saga von vornherein, sie bei sich aufzunehmen. Die Schwester nistete sich also bei ihrem Sohn ein und beglückte diese Wohngemeinschaft mit noch zwei unehelichen Kleinkindern von einer anderen Tochter, die sich nicht selbst um ihre Zöglinge kümmern konnte oder wollte. Der Sohn war entsetzt, hatte er doch schon genug damit zu tun, dass seine eigene Frau das Haushaltsgeld mit vollen Händen an ihre Verwandtschaft im Inland verschwendete, statt für das Gemeinschaftsleben mit ihm zu arbeiten. Die Tradition ließ aber nicht zu, dass er die eigene Mutter wieder davon schickte.