Hirni kehrt zurück

Leider hielt diese Ruhephase nicht allzu lange an. Hirni kehrte schon nach zwei Wochen zurück, weil auch die Verwandtschaft nicht begeistert davon war, sich um Hirni sorgen zu müssen. Saga war überrascht, dass Hirni sich friedlich gab und überlegte ernsthaft, ob der Zauberdoktor nicht doch besondere Kräfte haben müsse.

„Hirni nimmt keine Medizin mehr und ist ganz lieb und freundlich!“ erzählte sie nicht ohne versteckten Hinweis, dass sie doch Recht gehabt habe mit dem günstigen Vergleich von Zauberdoktoren zu normalen Ärzten. E. sagte nichts dazu und wartete mit Skepsis ab.

Es vergingen einige Wochen ohne einen weiteren Vorfall mit Hirni, bis Saga plötzlich wieder nicht zur Arbeit erschien. E. war leicht verärgert, denn schließlich teilte sie sich die Hausarbeit so ein, dass für Saga gewisse Aufgaben liegen blieben – vor allem Bügelwäsche oder sogar aus Bequemlichkeit der Abwasch vom Vorabend. Wenn Saga nun plötzlich wegblieb, rächte sich diese Bequemlichkeit mit einer Vormittagseinteilung, die soooo nicht geplant war. Jetzt rubbelte also E. ihren Frust mit dem Abtrocknhandtuch über das Geschirr.

Gerade war der letzte Teller abgetrocknet, da klopfte es an die Tür und mit vielen Entschuldigungen und schlechtem Gewissen machte Saga ihre Aufwartung. Mit grollendem Spott bemerkte E.: „Typisch! Gerade wenn der Abwasch fertig ist, kommst du endlich an. Du musst es telepathisch beobachtet haben, wann der Abwasch fertig ist!“

Saga beteuerte ernsthaft, dass es bestimmt nicht so gewesen sei und E. stand mit schlechtem Gewissen da, weil sie mit westlichem Spott den Eindruck erweckt hatte, Saga mit einer doppelten Schuld zu belasten. Sie entschuldigte sich also für den Vorwurf und ärgerte sich innerlich, weil eigentlich Saga sich für ihre Verspätung hätte entschuldigen müssen.

Saga wirbelte mit doppeltem Eifer durchs Haus und fand erst beim Bügeln wieder die Ruhe, über ihre häuslichen Sorgen zu sprechen:

„Ich war heute spät, weil wir wieder Ärger mit Hirni hatten. Gestern Abend hatte Hirni Opi bedroht und Opi hatte aus Furcht die Polizei benachrichtigt, die ihn ins Hospital bringen sollte. Hirni hat sich wie ein verrückter aufgeführt, weshalb Opi mich dazu gerufen hatte. Weil Hirni immer auf mich hört, sollte ich ihn beruhigen. Leider ist Hirni aber geflüchtet, und so haben wir die halbe Nacht nach ihm gesucht. Heute Morgen kam Hirni zu mir. Mein Vermieter hatte dann die Polizei angerufen und ich hatte ihn überredet, mit ihnen zu gehen. Sie haben ihn dann gemeinsam ins Hospital gebracht. Dort wurde er mit Spritzen ruhig gestellt.“

E. erkundigte sich mutswillig: „Ich dachte, der Zauberdoktor habe ihn geheilt?“

Saga war nicht verlegen: „Das war nur für eine Weile. Jetzt wurde Hirni aber zu aggressiv, deshalb musste die Polizei kommen. Sie kennen ihn aber, denn es war nicht das erste Mal, dass sie ihn ins Hospital bringen mussten. Weißt du, die Krankenschwestern haben mich aber gelobt, dass ich mich um ihn kümmere. Sie wissen, dass Opi nichts für sein Kind tut. Ich habe mit dem Arzt gesprochen und habe ihm gesagt, dass er keine Pillen mehr nahm und dass Opi ihm keine mehr gegeben hat. Der Arzt hat mit Opi geschimpft und jetzt ist er böse auf mich und sagt, ich sei schuld, dass Hirni so gewalttätig sei. Ich hätte ihn aufgehetzt.“

E. riet Saga wieder einmal, die Verantwortung ganz abzuschieben, denn es sei nicht ihr Kind und sie habe genug Verantwortung ihren eigenen Kindern gegenüber.

Bald kam Saga jedoch mit der Nachricht, dass ihre Tochter und die Nichte darum gebeten hätten, Hirni im Hospital zu besuchen. Sie wollte es erst verbieten, aber er sei doch Familie.

E. riet dringen davon ab, es zuzulassen: „Saga, denk doch bitte daran, dass Hirni KEIN Kind mehr ist. Er ist erwachsen und selbst dafür verantwortlich, dass er regelmäßig seine Pillen nimmt. Emma und Susa sind zu wertvoll, als dass sie dauernd zu ihm ins Hospital gehen. Was wollen sie da? Das ist doch nur Neugierde. Sorg lieber dafür, dass der Kontakt weniger wird, denn irgendwann dreht er durch und vergreift sich an Deinen Kindern!“

Saga sah es ein und versprach, mit ihren Kindern zu reden.

E.s Ratschlag trug Früchte und Saga hielt ihre Mädchen davon ab, Hirni im Hospital zu besuchen. Als die Medikamente wieder bewirkten, dass Hirni ruhiger wurde und er deshalb aus der geschlossenen Abteilung in ein normales Zimmer verlegt wurde, durfte Hirni tagsüber Urlaub aus dem Hospital nehmen. Sagas Wohnung war die nächste und musste wie zuvor gleich als erstes Ausflugsziel herhalten. Die Belohnung für den Ausflug beinhaltete, daß Sagas teurer Kaffeevorrat in Nullkommanix auf Vergangenheit reduziert wurde und dass ihr Brotvorrat in dem Magen verschwand, der bei Bedarf die Hospitalnahrung verschmähte.

Saga und ihre Kinder mussten abends hungrig schlafen gehen. Hungrig zu schlafen bedeutete für die Kinder, dass sie auch hungrig zur Schule mussten und erst am nächsten Nachmittag etwas zu essen erwarten konnten, wenn Saga neues Brot beschafft hatte. Es war eine bittere Erfahrung, die die Wut auf Hirni richtig anwachsen ließ. Saga tobte ins Hospital und machte ihm bittere Vorwürfe. Hirni entschuldigte sich damit, dass ihm das Hospitalessen wirklich nicht schmecken würde und er nun mal Appetit auf Brot mit Marmelade habe. Davon ließ sich Saga nicht beeindrucken und vergaß in ihrem Zorn sogar, dass Hirni normalerweise die Rücksichtsnahme eines Kindes beanspruchen durfte. Sie verbat ihm „ein für allemal“ einfach in ihr Haus einzudringen und ihre Vorräte wegzumampfen.

Der Zornesausbruch bewirkte, dass Hirni sich tatsächlich für eine Weile von Sagas Heim fernhielt. Sogar, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ließ er sich für eine Weile nicht blicken.

Mit der Entlassung ermahnte der Arzt Hirni eindringlich, regelmäßig seine Medikamente zu nehmen und Hirni versprach, sich ganz gewisslich an die Anweisung zu halten. Das Versprechen hielt er auch — aber es war leider nicht für die Ewigkeit gegeben!