Das Erbe und der Fernseher

Irgend jemand aus Sagas näheren oder entfernteren Verwandtschaft verstarb in Walvis-Bay. Onki und Opa waren schnell zur Stelle, um das Erbe einzukassieren. Zu ihrem Glück hatte die verstorbene Person es sich leisten können, eine kleine Versicherung herauszunehmen. Das gab gerade so viele Glücksmomente, dass dabei ein Kühlschrank für Opa, ein Fernseher für Onki und einige Möbelstücke für beide anzukaufen waren. Außerdem konnten beide in neuer Kleidung strahlen, außer Hirni natürlich, der immer noch bei Opa wohnte. Opa sah auch nicht ein, warum die verschlissene Kleidung von Hirni durch neue ersetzt werden müsse, denn Hirni brauchte schließlich nicht zur Arbeit.

Die Erbschaft ist so zu verstehen, dass die männliche Verwandtschaft das erste Anrecht auf ein Erbe hat. Sie können es nach Belieben verteilen, oder eher behalten, was meistens der Fall war.
Wie oft sollten E.‘s Warnungen ungehört an Saga abprallen: „Saga, du weißt, wie es bei deinen Leuten ist. Wenn dir etwas passiert, steht deine Tochter und Susa allein auf der Welt. Deine Verwandten werden sich alles aus deiner Wohnung rausholen, was sich zu Geld machen läßt und Emma und Susa kriegen nichts. Du musst ein Testament machen, um sie zu schützen!“

Irgendwie war Saga deshalb auch in Sorge, aber der Gedanke, eine Tat zu vollbringen, die mit Zivilisationsdenken zu tun hat, kam ihr sehr schwer an. Das konnte nicht mit der ersten oder zweiten Ermahnung vollbracht werden. Dazu mussten noch viele Ermahnungen kommen – wer weiß, ob sie überhaupt jemals den großen Schritt wagen würde, sich so intensiv mit Zukunftskonsequenzen auseinanderzusetzen, die über ihren Tod hinausgingen. Und der Schritt, dass E. zusammen mit ihr die Testamentsregelungen vornehmen könnte, war noch nicht gegeben.
Papierkrieg und Amtshandlungen waren einfach futuristische Albtraumwelten.

Zu der Zeit versagte ausgerechnet der alte schwarz/weiß Fernseher von Saga seinen Dienst. Das war ein herber Schlag für Sagas Familie, denn nun hatten sie keine Nachrichtenquelle mehr und mussten schweren Herzens auf ihr letztes abendliches Unterhaltungsprogramm verzichten. E.‘s Nachbarin, bei der Saga auch wöchentlich einmal putzte, trug sich mit Umzugsgedanken. Sie tröstete Saga ein kleines Bisschen mit einem Radio, damit sie wenigstens nicht ganz von der Welt abgeschnitten sei.

Auch Hirni war enttäuscht. Hatte er doch immer einen Grund gehabt, bei Saga fern zu sehen, und sich dabei mit ihrem Kaffee oder Tee und mit ihrem Brot zu laben. Manches Mal kam Susa mittags von der Schule nach Hause und hoffte auf ein Stückchen Brot. Sie fand den Vorrat geplündert und musste auf Saga warten, die hoffentlich abends mit neuem Essensvorrat von der Arbeit kam.

Also ein Gutes hatte der Verlust des Fernsehens wenigstens, denn Hirni besuchte nun tagsüber nicht mehr Sagas Heimstatt, sondern ließ sich bei Onki nieder und plünderte dort die Vorräte. Da Hirni tagsüber außer Essen nichts zu tun hatte, hatte Opa sich angewöhnt, ihm nur morgens ein Stück Brot zu geben und die restlichen Nahrungsmittel zu verschließen. Erst abends sollte es wieder etwas zu essen geben. Das war mit ein Grund, warum Hirni zu Verwandten marschierte und sich ungeladen bediente.

Auch Saga, Emma und Susa konnten sich nicht so schnell daran gewöhnen, die beliebten Fernsehserien aufzugeben. Sie machten sich also auf und besuchten abends Onki, um mit den flimmernden Bildern in eine andere Welt einzutauchen. Onki war einesteils geschmeichelt, dass sein neuer Fernseher solch einen Anklang fand, andererseits wurmte es ihn, dass Hirni tagsüber seine Wohnung heimsuchte. Deshalb fasste er einen großmütigen Gedanken: Saga durfte den Fernseher leihen, bis ihrer repariert sei. Saga konnte ihr Glück kaum fassen. So freigebig kannte sie Onki gar nicht. Sie sah ihn plötzlich in einem ganz anderen Licht. Alle vergangenen Taten verschwanden in die Schattenwelt des Vergessens und zurück blieb ein strahlendes Licht, das Onkis wahre Herzlichkeit beleuchtete.

Leider hatte der Vorteil des Fernsehens den Nachteil, dass seltsamerweise Hirni dem Kasten folgte, der die lebendigen Bilder in sich barg, und nun wieder zu unliebsamen Zeiten bei Saga auftauchte.

E. hörte sich die Klagelieder zum ‚zigsten Mal an: „Saga, warum schließt du dein Zimmer nicht einfach ab? Du kannst es doch nicht offen lassen, bei den vielen Diebstählen, die man erwarten muss.“

Saga: „Ich schließe das Zimmer ab. Aber wir haben nur einen Schlüssel. Wenn die Kinder von der Schule kommen, müssen sie ja hinein können. Deshalb verstecke ich den Schlüssel immer unter einem Blumentopf. Leider weiß Hirni auch, dass der Schlüssel dort liegt.“

E.: „Dann lasse doch einen zweiten Schlüssel anfertigen.“

Saga entrüstet: „Das kostet N$20,00. Das kann ich mir nicht leisten. Da kaufe ich lieber Maismehl von.“

E.: „Das ist immer noch weniger als die Kosten von dem Essen, die Hirni aufisst!“

Saga schwieg verstimmt. E. wusste, dass sie ihr die N$20,00 auch nicht geben konnte. Das Geld bar auf die Hand würde ganz andere Wünsche wach werden lassen, statt den nötigen kleinen Schlüssel zu besorgen.

Nach 2 Wochen überraschte Saga aber mit einer Konsequenz, die man sonst nicht an ihr kannte:
„Ich habe den Fernseher zurückgebracht und Hirni rausgeschmissen. Meine Kinder sind zwar sehr enttäuscht, aber wir können einfach nicht mehr so weiterleben. Es gab Tage, wo die Kinder ohne Frühstück aus dem Haus mussten und wir nur von dem lebten, was wir von meinen Arbeitsstellen als Lebensmittel erhielten. Ich will das nicht mehr. Dann müssen wir halt ohne Fernseher leben. – Und weißt du was? Erst war Onki böse, aber dann hat er Hirni auch rausgeschmissen und ihm verboten, noch einmal bei ihm aufzutauchen.“

Der alte Fernseher konnte nicht mehr repariert werden, höchstens zu hohen Unkosten und ohne Garantie, dass er danach auch wirklich funktionieren würde.