Kein Ende in Sicht

Nachdem nun Susas Schullaufbahn gesichert schien, meldete sich Emma wieder mit einem kleinen Problemchen. Saga versuchte, die Tatsache solange zu ignorieren, wie es nur irgendwie ging, aber ein wachsendes Bäuchlein kann man nicht immer übersehen. Endlich gestand Emma kleinlaut, dass sie wieder Nachwuchs bekommen würde. Der Ablauf der Geschichte wiederholte sich vom angedrohten Rausschmiss, von Ärger, Verzweiflung, schließlich Resignation und Verzeihen. Als jedoch der Entschluss gefasst wurde, den künftigen Vater zur Rechenschaft zu ziehen, wurde Emma verstockt und weigerte sich entschieden, ihn bekannt zu machen. Saga konnte es nicht verstehen, aber alle Drohungen nutzten nichts. Emma blieb verschwiegen, weil sie die große Familienaussprache fürchtete.

Als der Tag der Geburt angebrochen war, machte Horra sich noch einmal richtig beliebt, mit allen Anforderungen, die zu ihrem Wohlbefinden beitragen sollten und als selbstverständliche Vergütung zusätzlich zum Verdienst angesehen wurde. Da zeigte sich ein Lichtblick im Hospital: Eine nette schwarze Frau bot sich an, gegen geringes Kostgeld auf die Kinder aufzupassen, wenn Emma wieder zur Arbeit gehen sollte. Saga erklärte sich für die Lösung einverstanden.

Plötzlich kam ein Anruf von der Familie im Inland. Eine nahe Verwandte läge im Endstadium mit Aids erkrankt. Alle Familienmitglieder von der Küste sollten bitte noch einmal anreisen, denn sie wünschte alle noch einmal zu sehen. Der Familienrat tagte und schaute vorwurfsvoll auf Saga, die als Vertretung für alle reisen sollte, wie immer auf eigene Kosten, was ja nur zu verständlich sei. Pflicht und Armut, Verantwortung und Sorgen kämpften miteinander, aber irgendwann war auch das Maximum an Duldsamkeit erreicht. Es machte sich Überlebenswille und Sturheit breit: Saga weigerte sich!

„Wie soll ich denn alles schaffen! Wer von euch macht sich irgendwelche Gedanken um Emmas neues Baby und wie wir es großziehen sollen. Emma steht jetzt ohne Arbeit da, während ich für alle sorgen muss. Wenn ich eine Woche weg bin, habe ich eine Woche keinen Verdienst und noch die Reisekosten zu tragen. Ich KANN nicht fahren!“

Großmütig erklärte sich Horra bereit, mit ihrer Tochter und Nachwuchs die Reise anzutreten. Die Vorwürfe lasteten zwar weiter auf Saga, auch das schlechte Gewissen, aber eigentlich waren mehrere Familienmitglieder froh, Horra los zu sein – und wenn es nur für einige Wochen war. Saga brauchte ihr kümmerliches Essen nicht mehr zu teilen, und Horras Sohn war froh, seinen Haushalt ohne das phlegmatische Anhängsel von Mutter und Schwester zu bestreiten. Insgeheim hofften alle, dass Horra im Inland bleiben möge, aber wer weiß: Vielleicht steht sie eines Tages wieder unangemeldet mit Sack und Pack vor der Tür…

Emma hatte Glück mit dem Vater ihres zweiten unehelichen Kindes. Monatlich unterstützte er sie mit N$ 200,00 für die nötigsten Ausgaben. Mit der versprochenen Kinderhilfe hatte sie weniger Glück, denn die Hilfskraft verlangte plötzlich mehr, als Emma als Zeitarbeiterin verdienen würde. So bleibt ihre Berufslaufbahn vorläufig unklar.

Zum Schluss bleibt noch zu sagen, dass Saga beileibe kein Einzelschicksal in Namibien ist. Sie ist stellvertretend für viele fleißige Frauen, die unter traditioneller Knechtschaft gebeugt gehen und für die Verwandtschaft aufkommen müssen, weil ihre Lebenseinstellung dahingehend beeinflusst worden ist. Nur wer sich durch Ausbildung und einem besseren Beruf von der Gemeinschaft abheben kann, dazu einen gesunden Egoismus an den Tag legt, um das Gewissen zu übertönen, kann sich von der phlegmatischen, um nicht zu sagen parasitischen Verwandtschaft lösen

Ob auch Saga eines Tages ihr Gewissen so lenken kann, dass für sie ein Recht zu leben übrig bleibt?

Vorläufig darf Saga sich weiterhin für Familienprobleme verantwortlich fühlen. Sie darf weiterhin Hirnis Besuche ertragen, ohne dass er ihr Entschädigung für genossene Nahrungsfreuden bietet, und sie darf hoffen, dass Susa die Schule besteht und ihr Leben meistert…