Die Kraft der Zauberdoktoren
Vorerst traten jedoch wieder die familiären Probleme in den Vordergrund. Saga erschien ziemlich wortkarg bei der Arbeit bei E. und brachte kaum ein „Guten Morgen“ über die Lippen. E. kannte ihre Saga schon etwas und verzog sich jeweils aus dem tätigen Arbeitsfeld von Saga, um sich nicht von der schlechten Laune beeinflussen zu lassen. Das hätte zu unnötigen Reibereien geführt, die das Verhältnis Schwarz/Weiß oder zumindest Arbeitgeber/Arbeitnehmer unnötig strapaziert hätten. Zuerst war die Küche das Reich, das Sagas Unmut über sich ergehen lassen musste. Diesmal wurde das Geschirr jedoch pfleglicher behandelt und irgendwie zeigte das ganze Wesen von Saga nicht so sehr Ärger, sondern eher Nachdenklichkeit und Sorge.
Nachmittags beim Wäschebügeln, als E. sich einen Kaffee einschenkte, war es dann soweit. Saga druckste herum und wusste nicht genau, wie sie das Thema anschneiden sollte, aber schließlich nahm sie von weither einen Anlauf:
„Ich weiß nicht, ob die weißen Ärzte mit allem so richtig Bescheid wissen. Die Medizindoktoren haben doch auch gewisse Kenntnisse.“
E. schaute Saga nur abwartend an, um sie zu ermuntern, ihre Gedanken ausführlicher zu erklären.
Saga bügelte und grübelte. Schließlich gab sie sich einen Ruck und platzte heraus: „Opi will von mir N$100,00 haben.“ Zu dem Zeitpunkt lag ein durchschnittliches Gehalt in einem normalen Haushalt bei N$3,50 pro Stunde. Saga bekam von E. N$45,00 für einen durchschnittlichen 8-Stunden Tag. Es standen also mehr als 2 Arbeitstage auf dem Spiel.
E. erkundigte sich vorsichtig, warum sie Opi soviel Geld geben solle. Da erklärte Saga, dass Hirni wieder aggressiv wurde und seine Tabletten nicht mehr im Hospital abholte. Opi hatte Saga aufgefordert mit Hirni zum Arztbesuch zu gehen, aber Saga wollte nicht, denn sonst hätte sie die fälligen N$20,00 Konsultationsgebühr zahlen müssen. Opi würde ihr niemals das nötige Geld dazu mitgeben. Jetzt wurde Hirni unausstehlich und würde Opi bedrohen.
E. wollte wissen: „Da muss doch auch ein anderer Grund sein, warum Hirni auf Opi sauer ist.“
Saga überlegte und versuchte Schlüsse zu ziehen, nämlich dass Hirni nur morgens und abends etwas zu essen bekäme. Tagsüber würde Opi seine Wohnung vor ihm verschließen, sonst äße ihm Hirni alles weg. Die Geliebte von Opi dürfe tagsüber zu Hause sein, und sie wollte mit Hirni nichts zu tun haben.
„So, Hirni nimmt dann vielleicht auch keine Tabletten mehr, weil er wieder mal auf sich aufmerksam machen möchte,“ vermutete E.
„Nein,“ widersprach Saga zu. „Die Tabletten helfen einfach nicht. Das hat Opi bestätigt und deswegen wollte er ihn nicht mehr zum Hospital schicken.“ Den Widerspruch zu der Aussage, daß zuerst Saga mit Hirni zum Hospital geschickt werden sollte, ignorierte E., sondern hieb noch einmal in die Kerbe:
„Na, so wie ich langsam den Charakter von Hirni einschätze, sucht er doch auf diesem Wege Beachtung. Ihr kümmert euch nicht so intensiv um ihn nicht wie sonst. Bei dir kann er nicht fernsehen und du hast ihm jetzt einige Male das Haus verboten, weil er dauernd deine Vorräte aufaß. Da ist es kein Wunder, dass er mit seiner Krankheit wieder versucht, Aufmerksamkeit zu erregen. – Und wofür sollen nun die N$ 100,00 sein?“
Jetzt rückte Saga vollends mit der Sprache heraus: „Opi hat Onki und mich zum Familienrat gebeten und wollte, dass jeder N$100,00 zahlen soll. Insgesamt würde ein bestimmter Zauberdoktor N$300,00 verlangen und er könnte Hirni bestimmt heilen. Ich habe keine N$100,00, aber Opi verlangt, dass ich sie mir leihen solle oder um einen Vorschuss bitten solle. Ich habe fürchterlich geschimpft, weil ich es mir mit meinen Arbeitsstellen nicht verderben möchte. Opi hat dafür kein Verständnis und beruft sich darauf, dass die Familie in Not zusammenhalten müsste. Irgendwie mache ich mir aber Sorgen, was die Bibel dazu sagt. Verbietet sie Zauberdoktoren?“
„Warum hast du das nicht dem Priester in der katholischen Kirche gefragt,“ wollte E. wissen.
„Nein, die kann ich einfach nicht fragen. Wenn es verboten ist, dann denken sie, ich würde nach unseren alten Traditionen gehen!“
Den Zwiespalt nahm E. zum Anlass für ihre Bibelbetrachtungen an, die Saga auch gleichzeitig von einer neuen Notsituation abhalten sollten:
„Jesus war vielleicht eine Art Zauberdoktor, aber er hat an Gott geglaubt und von ihm seine Kraft erhalten, die Menschen zu heilen. Er hat auch kein Geld dafür verlangt. Zauberdoktoren, die wirkliche Heilkräfte von Gott haben, machen damit keine Geschäfte und verlangen kein Geld. Der Zauberdoktor, der also N$300,00 haben möchte, will nur reich werden. Heilen kann er bestimmt nicht, sonst wäre er schon überall berühmt. Er arbeitet aber heimlich und tut genau das, was sein Name sagt: Er zaubert euch etwas vor und ihr seid das Geld los und wurdet betrogen.“
Jetzt zeigte sich der eigentliche Grund für Sagas Sorge, der durch E. s Antwort ermutigt, ausgesprochen wurde: „ Opi wollte nicht nur die N$100,00 von mir und Onki. Er wollte, dass auch Emma ihn und Hirni zum Zauberdoktor begleiten sollte, denn bei dem Ritual müsse eine Jungfrau dabei sein. Das will ich aber nicht. Was soll Emma denn dabei?“
E. wurde richtig zornig bei dem Gedanken, wie hier mit Leichtgläubigkeit und Aberglauben Schindluder betrieben werden sollte: „Saga, du musst bitte genau zuhören! Auf keinen Fall schickst du Emma mit Opi mit und du zahlst auch keine hundert Dollar. Dieser Zauberdoktor scheint ein ganz großer Gauner zu sein. Weißt du, warum er eine Jungfrau haben möchte und was mit deiner Emma passieren würde? Sie würde für das Ritual vergewaltigt! Der Lump wäre bei einer Jungfrau ziemlich sicher, dass er kein Aids bekäme und würde für seinen Hokuspokus auch noch Bezahlung einstreichen. Hirni bekäme garantiert keine Hilfe. Die 200 Dollar von Opi und Onki wären besser ausgegeben, wenn sie Hirni zum Arzt nähmen und wieder für die nötigen Medikamente sorgen würden, vom Rest könnten sie ihm eine neue Bekleidung kaufen.“
E. ergänzte ihren Vortrag mit allen Gräuelgeschichten, die in Zeitungen über Zauberdoktoren berichtet wurden. Von Kinder- und Babyschändungen mit dem Versprechen, dass man dadurch den Aidsvirus loswerden könne bis zu rituellen Verstümmelungen bei Kleinkindern, um die Potenz bei Männern neu zu erwecken. Sie brachte die Nachrichten von den verschwundenen Kindern in Walvis-Bay in Erinnerung und dass dort Zauberdoktoren entlarvt wurden und schleunigst in ihre Heimat Zimbabwe geflohen sind.
Verwundert bekannte Saga, dass „ihr“ Zauberdoktor auch aus Zimbabwe sei. Jedenfalls würde sie den Rat beherzigen und keinen Anteil an Opis Planung nehmen. – „Nur, wie soll ich das erklären?“ zauderte Saga trotz aller Entschlossenheit.
„Hier kannst du ganz ehrlich sagen, dass dein christlicher Glaube dich davon abhält,“ gab E. Rat.
„Sag einfach, dass du im Gebet darüber nachgedacht habest oder dass du von einer christlichen Schwester beraten wurdest. Es stimmt zwar nicht ganz, aber zur Not kannst du als Katholik ja zur Beichte gehen!“
Als Saga nach Hause ging, merkte man, dass sie freier atmen konnte, nachdem ihr Problem in geordnete Bahnen diskutiert worden war. Und tatsächlich schaffte sie es, sich gegen Opi aufzulehnen. Als er sie wieder aufsuchte, sagte sie ihre Mithilfe ab. Opi schnaubte vor Zorn, aber Saga sparte sich die zusätzliche Geldausgabe und schützte durch ihre Weigerung gleichzeitig ihre Tochter.
Opi dagegen ließ von seinem Plan nicht ab, sondern fuhr mit Hirni zum Zauberdoktoren. Wer als Ersatz-Jungfrau für das Ritual hinzugezogen wurde, ist nicht bekannt. Hirni blieb eine Weile bei der Verwandtschaft irgendwo im Inland und Opi erfreute sich wenigstens eines Teilerfolges dieser ungewöhnlichen Therapie: Er war eine Weile aller Sorgen um Hirni ledig und fühlte sich nicht von Hirnis Anfällen bedroht.