Eine Arbeitsstelle zieht nach Walvis-Bay um

Die Arbeitsstelle bei der Nachbarin drohte wegzufallen und Saga machte sich Sorgen, wo sie für einen Tag in der Woche eine neue Arbeitsstelle hernehmen sollte. Während des Umzugs mistete die Nachbarin auch aus. So gelangte Saga in den kostbaren Besitz von 4 Plastikstühlen, die ursprünglich für den Garten gedacht waren. In Sagas klitzekleinen Wohnung passten diese Stühle nicht hinein, aber vor Sagas Haustür fanden sie ein Plätzchen und befanden sich damit gleich am Orte ihrer Bestimmung, im Garten. Onki sah sie dort und befürchtete, dass sie geklaut werden könnten. Aus Rücksicht und in weiser Entschlussfreudigkeit nahm er die Stühle an sich und —Saga war sie los.
E. beschwor Saga, dass sie zumindest geldlich entschädigt werden müsse, aber Onki hatte bessere Argumente als E. „Die Zeiten sind so schlecht und Du weißt ja….!“ Saga wusste!

Um Saga zu ermöglichen, dass nun fehlende Einkommen trotzdem zu verdienen, erlaubte E. ihr, auch mittwochs im Haushalt zu helfen, bis sie eine andere Arbeitsstelle fände. Allerdings waren auch bei E. die Zeiten schlecht. Deshalb begrüßte sie, dass die Nachbarin auf Sagas Dienste doch nicht verzichten wollte. Die wenigen Wochen mit einer neuen Hausgehilfin hatten genügt, um sich schleunigst wieder auf Saga zu besinnen. Saga erhielt zu ihrem Gehalt das Taxigeld gezahlt und fuhr nun einmal wöchentlich nach Walvis-Bay zur Arbeit. Aber sie war nicht glücklich. Anfangs waren die Fahrten eine Abwechslung, dann kamen ihr immer mehr Bedenken ob der Fahrkünste der Taxifahrer.

…Wer afrikanische Taxifahrer kennt, der kann Sagas Sorge nachvollziehen. Taxifahrer haben die Neigung, dem Auto vor ihnen in den Auspuff zu kriechen. Sie kleben am Vordermann, wenn die Strecke frei ist und überholen, wenn ein Hügel die Aussicht auf Gegenverkehr verbirgt. Sie nutzen jeden Platz im Auto mit zahlungskräftigen Kunden und vertrauen auf die Stabilität der Achsen. Sie wissen, dass ein Auto fahrtüchtig ist, wenn es sich nach vorn bewegt. Sie kennen die wichtigsten Bestandteile eines Autos, die da sind Steuer, Gaspedal und Reifen. Lichter müssen nur bei einer Verkehrskontrolle funktionieren, während ihnen selbst bei dichtestem Nebel das Parklicht ausreicht. Bei Tag sieht man im dichten Nebel sowieso nicht besser, selbst wenn man die Scheinwerfer anschalten wollte. Und ob der Gegenverkehr das Auto wahrnimmt, ist egal, denn je weniger Gegenverkehr man sieht, desto besser sind schließlich die Überholchancen. Reifen werden genutzt, bis sie von selbst den Geist aufgeben. Wenn der Reifen platzt, ist es natürlich weniger angenehm, aber je voller das Auto mit Fahrgästen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass doch einer darunter ist, der einen Unfall überlebt. Taxis stärken den Glauben an geistige Mächte. Wer eine Fahrt überlebt, glaubt an Wunder, Schutzengel, höhere Fügung und, wenn nötig, sogar an Zauberkräfte. Entgeht man knapp einem Unglück, entlädt sich die Spannung in hysterisches Gelächter und bei der Weiterfahrt steigt wieder der Adrenalinspiegel in erschreckenden Ausmaßen an. Nur die Taxifahrer selbst sind die Ruhe in Person. Da sie bisher jede Fahrt überlebt haben, sonst säßen sie nicht am Steuer, glauben sie an die eigene Unverwundbarkeit. Und jede überlebte Fahrt bestärkt sie in ihrem Glauben und verführt sie zu noch waghalsigeren Fahrtaktiken. Am faszinierendsten sind dann die Überholmanöver, wo man dem entgegenkommenden Fahrer schon tief in die Augen guckt, um in letzter Tausendstelsekunde knapp den Aufprall zu verpassen.

Saga setzte sich also wöchentlich einmal solch einer Retourfahrt aus nach Walvis-Bay aus und bangte jedes Mal um ihr Leben. Ihr Unmut darüber wirkte sich auf ihren Wirkungskreis aus. Sie fing an, sich über die Ungerechtigkeit der Welt zu empören und es fanden immer öfter unerfreuliche Gespräche über die ungleiche Aufteilung des Reichtums statt.

Saga: „Weißt du, ich habe mir überlegt, dass es nicht richtig ist, dass die Weißen große Häuser haben mit vielen Zimmern. Ich muss in einem kleinen Zimmer leben und habe nicht mal ein eigenes Badezimmer oder eine Küche. Warum wohnt deine Mutter allein in einem Haus? Sie kann doch noch Untermieter aufnehmen! Oder sie kann ihr Haus abgeben an jemanden mit einer großen Familie. Die Weißen haben große Häuser, wir Schwarzen haben nichts.“

E.: „Saga, meine Mutter hat ihr Haus selbst gebaut und bezahlt. Sie hat es nicht geschenkt bekommen! Ich habe mein Haus auch nicht geschenkt bekommen. Im Gegenteil. Es gehört mir noch nicht mal richtig. Ich habe Geld von der Bank geliehen und muss dieses Geld zurückzahlen. Und ich muss noch Zinsen zahlen, genauso wie du mit deiner Clubkarte im Geschäft. Wenn ich das nicht kann, nimmt mir die Bank das Haus weg. Dann habe ich gar nichts.“

Saga: „Ja, aber ich kann mir kein Haus leisten. Ich kann mir nicht mal ein Haus leisten, das zu günstigen Preisen von der Stadt ermöglicht wird. Das ist doch ungerecht.“

E.: „Du könntest es dir vielleicht leisten, aber dann musst du dein Geld besser verwalten. Im Moment hast du Schulden für Sachen, die du dir nicht mal selbst gekauft hast. Hättest du das Geld statt für die Clubkarte und für deine Besucher lieber für ein Haus gespart, dann hättest du in ein oder zwei Jahren wenigstens die Grundgebühr zusammen.“

Saga: „Und warum gibt die Bank mir kein Geld? Warum gibt sie es nur den weißen Menschen?“

E.: „Die Bank gibt nur den Menschen Geld, die mit Besitz dafür bürgen. Wenn die Leute nicht die Abzahlungsraten zahlen, nimmt die Bank den anderen Besitz weg. Bei uns wäre es das Haus, das mehr wert ist, als die Bankleihe. Sie gibt also auch den schwarzen Menschen Geld, wenn sie damit rechnen kann, dass sie auf keinen Fall das Geld verliert. Die Bank verschenkt nämlich auch nichts.“

Saga: „Trotzdem ist es irgendwie ungerecht. Guck mal, wie viele weiße Menschen große Häuser haben.“

E.: „Stimmt. Aber guck auch mal, wie viele Kinder die weißen Menschen haben. Jede Familie hat viel weniger Kinder, als die schwarzen Familien. Sie sparen ihr Geld für Besitz und Häuser und geben nicht soviel Geld für viele Kinder aus. Bei vielen gehen Mann und Frau arbeiten und sparen für eine Anschaffung. Und was passiert bei dir? Deine Familie verschwendet ihr Geld und lebt mit von deinem Geld. Sie setzen sich in dein Zimmerchen und essen mit, ohne etwas beizutragen. Eure Männer machen Kinder und kümmern sich nicht darum. Ihr Frauen müsst sie groß ziehen und habt immer weniger, während die Männer gut leben und nicht für die Zukunft planen. Und ihr Frauen erlaubt den Männern, dass sie noch mehr Kinder zeugen. Ihr erlaubt ihnen, dass sie euch ausnutzen und ihr erlaubt ihnen, dass sie nur an sich denken dürfen.“

Diese Art von Dialog entspann sich in den ersten Jahren des Arbeitsverhältnisses sehr oft und wurde immer wieder in ähnlichem Wortlaut durchgesprochen. Das geschah besonders dann, wenn Saga aus einem neuen Dienstverhältnis ausschied und Sorgen um ihre Zukunft hatte. Wenn der Dialog zu sehr den Eindruck erweckte, dass Neid im Spiel sein könnte, brachte E. einen anderen Gedanken ein, um die Situation zu entschärfen. Hätte wirklicher Neid das Dienstverhältnis vergiftet, hätte E. die Arbeitsbeziehung aufkündigen müssen. So lenkte sie Saga in ihren Gedanken zu ihrer eigenen Schwäche, nämlich dass sie nicht „Nein“ sagen könne.

E.: „Du kannst einfach nicht „Nein“ sagen. Bei dir würde sofort die Verwandtschaft einziehen mit großen Versprechungen. Sie würden bei dir mitessen, dein Wasser gebrauchen, deinen Strom, und keiner würde zahlen, aber immer nur versprechen, dass irgendwann Geld käme. Wilde Siedler würden sich in deinem Hof niederlassen und auch nichts zahlen. Zum Schluss könntest du selbst nicht mal mehr die Abzahlungsraten zahlen und hättest endlich wieder kein Haus, höchstens noch Schulden.“

Den eigentlichen Ausschlag gab dann Sagas eigener Sinn für Reinlichkeit: „Weißt du, das ist was mich jetzt schon ärgert. Da, wo ich wohne, teilen sich alle Mieter das Außen-WC. Keiner macht sauber. Keiner achtet darauf, dass er zumindest den Platz sauber verlässt. Ich muss immer sauber machen. Ich harke den Hof und ich trage den Müll zusammen. Ich würde verrückt werden, wenn alle nur alles dreckig machten. Ich will dann auch keine wilden Siedler haben.“

E. machte sie darauf aufmerksam, dass trotzdem ihre Familie kommen würde. Meistens endete das Gespräch in leichter Verstimmung, weil zwei Sichtweisen aufeinander prallten, die aus zwei unterschiedlichen Welten stammten. Dass in E‘s Familie über Generationen hinweg auch mit kleinen Brötchen gebacken wurde und trotz Hausbesitz und dem Luxus einer Hausgehilfin selbst bei E. der Pleitegeier regelmäßig einen Besuch abstattete, stieß auf taube Ohren. Die Fakten sprachen für sich: Ein großes Haus, das in schwarzen Verhältnissen gut und gern 4 bis 5 Familien beherbergen könnte – pro Zimmer mindestens eine Familie mit bis zu mindestens 4 Personen!