Susas Zukunftsvoraussichten

Susa war fast fertig mit der Grundschule. Für das 8. Schuljahr musste sie sich nun an einer Oberschule anmelden, und zwar zeitig, denn der Ansturm auf gute Oberschulen ist enorm. Da alle Schulen mehr als genug Anmeldungen erhalten, sind die Hauptkriterien für die Annahmen Leistung und ob der Schulbeitrag gezahlt werden kann. Der Rest wird angefüllt mit den Sorgenfällen, wo bei beiden Kriterien Zugeständnisse abverlangt werden.

Saga informierte in einem Gespräch, dass sich Susa nur für eine gewisse Oberschule interessierte, die neben dem guten Ruf auch regelmäßig gute Abschlussergebnisse vorweisen konnte. Leider waren die Beitragsgebühren für Saga nicht erschwinglich und Susa hatte nicht die Ergebnisse erzielt, die ihr als Empfehlung dienen konnten. Deshalb erklärte sich E. bereit, ein Empfehlungsschreiben zu verfassen, um zu versichern, dass auf jeden Fall der Schulbeitrag gezahlt werden würde. Ein Bruchteil sollte von Saga gezahlt werden, der Rest würde von E. aufgestockt. Es dauerte eine Weile, bis Saga zu dem Übereinkommen überredet werden konnte, weil sie das Angebot aus Anstand nicht beanspruchen wollte. Endlich überzeugte aber das Argument, dass hier über die Zukunft Susas entschieden werden sollte, und dass für sie die besten Voraussetzungen geschaffen werden sollten. So schien also alles bestens vorbereitet, aber man hatte die Rechnung ohne Horra gemacht.

Zum gleichen Zeitraum hatte sich Saga mit der Sozialfürsorge auseinandergesetzt und bewirkt, dass Hirni als Sozialfall anerkannt wurde. Er bekam nun vom Staat eine monatliche Unterstützung, die einer Pension entsprach und ihn mit einem Taschengeld von N$250,00 versorgte. Die Freude der Verwandtschaft über diesen unerwarteten Segen kann man sich gut vorstellen. Hirni lief vor Dankbarkeit zu Hochform auf und investierte sofort einen Teil des Geldes für Horras Familie, für seinen Vater und für sich. Bei Saga nistete er sich zum teuren Kaffee ein, um ihr von seinen Taten zu berichten. Saga war zu Recht empört, aber E.’s mit „wußte-ich-es-nicht“ untermalte Aufforderung, ihn endlich und endgültig aus dem Haus zu werfen, fiel wie immer auf taube Ohren.

Von der betreffenden Oberschule kam nach einem Monat die Nachfrage, ob man nicht gewillt sei, nach dem Empfehlungsschreiben auch das Anmeldeformular einzuschicken. E. staunte nicht schlecht und erkundigte sich bei Saga, was denn daraus geworden sei. Saga schlug die Hände über dem Kopf zusammen:

„Die Grundschule hatte gefordert, dass alle Anmeldungsformulare ausgefüllt an sie zurückgehen sollten, damit sie sie dann von der Schule aus weiterschicken könnten. Ich dachte, sie wären schon längst abgegeben!“

„Ist ja toll!“ schimpfte E. „Bis Freitag müssen die Anmeldungen drin sein. Jetzt ist Dienstag. Meinst du wirklich, dass die Schule das schaffen wird?“

„Was soll ich denn machen?“ meinte Saga. „Es sind halt meine Leute, aber ich dachte, sie als Lehrer wären ausgebildet, sich an Verpflichtungen zu halten!“

„Na gut,“ tröstete E. sie, „ich werde mal nachhören, was sie mit den Anmeldeformularen gemacht haben.“

E. klemmte sich also ans Telefon und konfrontierte die Grundschule mit den Begriffen von Pflichtgefühl, Verantwortung und Pünktlichkeit. Damit machte sie sich nicht unbedingt beliebt, erreichte aber, dass noch am gleichen Tag gehandelt wurde und die Anmeldeformulare ihr Ziel erreichten.

Wieder verstrich ein Monat, in dem E. bemerkte, dass Saga von Arbeitstag zu Arbeitstag unruhiger und unzufriedener wurde. Was sie wirklich plagte, behielt sie jedoch für sich, bis sie sich doch genötigt sah, zu sprechen, weil E. sich langsam Gedanken über die Schultracht von Susa machte:

„Statt eines Weihnachtsgeschenkes an sie, werde ich ihr den teuren Schulpullover kaufen. Dann hast du nicht diese zusätzliche Ausgabe!“

Da konnte Saga nicht länger an sich halten und gestand: „Ich weiß gar nicht, ob Susa überhaupt noch zu der Oberschule gehen wird. Ich denke, ich melde sie da einfach ab!“

„Ja, was soll denn das jetzt sein“, entsetzte sich E. Du erwartest doch nicht, dass ich das Empfehlungsschreiben verfasse, dass Susa aufgenommen wird und ich dann plötzlich wie ein Trottel absage? Man muss ja denken, dass mir meine Zusage wegen des Schulgeldes plötzlich zuviel sei – jedenfalls würde man meine Handlungsweise anzweifeln!“

„Ich muss dir was gestehen,“ äußerte sich Saga. „Susa ist bei mir ausgezogen und zu Horra gegangen!“

Das war wirklich eine ungeheuerliche Nachricht, die E. erstmal verdauen musste. Dann wollte sie alles genau wissen und sparte auch nicht mit Vorwürfen:

„Du hast sie einfach gehen lassen? Susa wohnt jetzt schon bald 6 Jahre bei dir. Keiner wollte sie haben und Du hast sie versorgt, dich um die Schularbeiten gekümmert, Dich wie eine Mutter eingesetzt, und da lässt Du sie einfach gehen? Sie ist Deine Tochter! Warum hast du ihr nicht verboten zu gehen?“

„Ich war einfach wütend,“ erklärte Saga. „Wir hatten uns wegen der Schulaufgaben gestritten und wegen der Haushaltspflichten. Horra war dabei und schimpfte mit mir, dass ich nicht verständnisvoll genug mit Susa sei. Bei ihr hätte das Kind es viel besser und sie würde besser nach ihr schauen. Da habe ich gesagt, dann solle sie Susa halt mitnehmen. Statt das Susa sagte, dass sie nicht mitgehen wolle, hat sie ihre Sachen gepackt und ist mitgegangen. In meiner Wut habe ich ihr dann auch gesagt, dass sie bloß nicht zurückzukommen brauche, wenn sie jetzt ginge, aber sie ist einfach gegangen.“

„Ja, logisch“, meinte E. „Du hast sie ja mit Deinem Auftreten aus dem Haus geschmissen. Du hast wohl vergessen, dass sie noch ein Kind ist und deshalb nicht selbst entscheiden kann! Was bekommt sie denn jetzt zu essen? Horra kommt doch dauernd zu dir und bettelt, da wird es ihr garantiert nicht besser gehen.“

„Horra kam schon am nächsten Tag zu mir und wollte Essen haben,“ gab Saga zu. „ich habe sie aber mit leeren Händen fortgeschickt.“

„Das hätte ich allerdings auch getan,“ gab E. ihr Recht. Erst das Kind wegnehmen, groß reden, dass sie besser nach ihr schauen würde und dann hat sie nicht mal was zu essen. Ich weiß auch, warum sie Susa haben wollte: Sie hatte von dir gehört, dass ich die Schule zahlen würde und hofft jetzt auf das Geld. Ich verspreche dir jedoch, dass ich keinen einzigen Cent zahlen werde, wenn Susa nicht bei dir wohnt. Im Gegenteil, ich sage sogar persönlich bei der Schule Bescheid und ziehe offiziell mein Angebot und meine Empfehlung zurück. Außerdem ginge das Geld direkt an die Schule, wie du weißt. Es ist also keine Möglichkeit, dass du oder deine Familie den Schulbeitrag in die Finger bekommen. Du sorgst jetzt bitte dafür, dass Susa SOFORT zu dir zurückkommt!“

Damit endete der Arbeitstag in beiderseitiger Unzufriedenheit, und Saga ging nach Hause, um Zwiesprache mit sich zu halten.

Zum nächsten Arbeitstag war das Diskussionsthema schon vorgegeben, denn Saga und E. hatten sich gedanklich intensiv mit dem Problem beschäftigt.

„Ich bin immer noch böse,“ gestand Saga. „Warum ist Susa nicht zurückgekommen und hat sich entschuldigt?“

„Du hast ihr doch gesagt, dass sie gar nicht erst daran denken dürfte, zurückzukommen,“ erinnerte E. sie.

„Ja, das stimmt schon, aber trotzdem könnte sie sich doch entschuldigen! Außerdem, was hätte ich tun sollen. Es war ja ihre direkte Oma, die sie mitgenommen hat.“

„Oma? Also entschuldige mal, was hat diese Oma denn jemals für ihr Enkelkind getan? Sie hat keinerlei Skrupel, euch das letzte Brot oder Maismehl aus dem Haus zu tragen, ohne sich auch nur im Geringsten darum zu Sorgen, wovon ihr Enkelkind satt werden soll. Sie erbettelt sich bei dir Geld für Zigaretten und fragt nicht, ob ihr euch dann noch Brot leisten könnt. Sie verlangt für ihre Tochter Spezialitäten und meckert, wenn du sie nicht liefern kannst, gibt euch aber kein bisschen zurück, auch wenn ihre Tochter mehr Unterhalt bekommt, als Emma sich mit mühevoller Arbeit selbst verdient. Und jetzt hat sie auch noch Susa mitgenommen, obwohl sie weiß, dass sie ihr niemals die Liebe bieten kann, die du ihr gibst. Diese Oma hat keine Gefühle für dich als Schwester, für Emma als ihre Nichte und erst Recht nicht für Susa, ihr Enkelkind. Sie denkt nur an sich und hat sich jetzt noch das Schulgeld erhofft. Sie ist einfach selbstsüchtig und darum böse. Nein, Saga, diesmal warst Du verkehrt. Du musst jetzt zu Susa gehen und ihr sagen, dass sie zurückkommen soll!“ E. hatte sich richtig in Zorn geredet.

Es gab noch Einwände für und wider, aber schließlich siegte doch die Vernunft und Mutterliebe zum Pflegekind.

„Anscheinend geht es ihr wirklich nicht gut, denn Horra sagt dauernd, dass Susa ihr zuviel sei. Auch ihr Sohn schimpft mit ihr, weil sie so dumm war, Susa mitzunehmen, wo sie sich doch schon nicht um ihre eigenen Enkel kümmert. Ich glaube, sie hatte es wirklich nur auf das Geld abgesehen. Ich hatte außerdem erwähnt, dass ich nachfragen wollte, ob das Sozialamt Pflegegeld für Susa auszahlen würde, denn Susa sei ja ein Waisenkind.“

„Da hast Du sicher Recht,“ unterstütze E. sie in dieser Überlegung. „Nachdem es mit Hirni so gut geklappt hat, wollte sie sicher auch an Deinem Einsatz verdienen. Ich kann dir aber jetzt sagen, dass Susa selbst nichts von der Unterstützung gesehen hätte, weder in Form von Schulgeld, noch an Kleidung. Horra hätte alles für sich selbst ausgegeben – und wahrscheinlich für Zigaretten. Was mich wundert, warum bringt sie Susa nicht einfach zurück. Sie sieht selbst, dass sie Susa nicht die Fürsorge bieten kann, die sie bei dir gehabt hatte, aber sie tut nichts an der Situation. Sie scheint nicht nur taub, sondern wirklich böse zu sein!“

„Jedenfalls habe ich sie in keiner Weise zusätzlich unterstützt, solange sie Susa bei sich hatte,“ bekräftigte Saga und erntete damit gebührend Anerkennung von E.

Da nun schon der Weg zur Einsicht gebahnt war, setzte E. ein Ultimatum, bis zu dem sie die frohe Botschaft hören wollte, dass Susa wieder bei Saga wohnen würde. Sollte es nicht der Fall sein, würde sie immer noch ihre Drohung wahr machen und ihre Empfehlung bei der Schule widerrufen.

Saga leitete also die Versöhnung ein, indem sie ihre Tochter Emma losschickte. Horras Sohn reagierte erfreut und wollte sich dafür einsetzen, dass Susa zurückkäme. Susa schrieb einen lieben Brief an Saga, indem sie eingestand, dass sie einfach Angst gehabt hatte. Sie wollte zum Wochenende zurückkehren, da sie am Donnerstag noch für ein Examenfach lernen müsse. Auch Horra freute sich, dass sie den zusätzlichen Esser loswurde, der ihr ohne finanziellen Versorgungsausgleich nur noch im Weg war.