Episode 5

Die Konflikte mit Susa und Petrus und der Verwandtschaft schienen gerade aussortiert und die Erziehungsprobleme mit Emma schienen auf eine verhältnismäßig geordnete Verständigung hinauszulaufen, da gab es Schulferien.

Schulferien wurden einesteils herbeigesehnt, andererseits waren sie gefürchtet. Gefürchtet deshalb, weil Saga eben nicht nur Verwandtschaft in Swakopmund hatte, sondern auch in Grootfontein. Saga zählte ihre verbliebenen Ersparnisse zusammen und entschloss sich, ihren Kindern einen Aufenthalt im Inland zu gönnen. Per Bahn sollten Susa und Emma verreisen. Sie bekamen einen zusätzlichen Betrag in die Hand, der für Maismehl ausgegeben werden sollte, damit alle etwas zu Essen bekämen.

Kaum waren die Kinder verabschiedet, wartete die Überraschung bei Saga zu Haus: Die Schwester war mit Oma angereist.
Saga teilte nun statt mit ihren Kindern, mit den lieben Besuchern ihre klitzekleine Behausung. Und die Besucher waren nicht zufrieden mit dem Grundnahrungsmittel, das Saga sich nach der Clubkarten-Episode leisten konnte, nämlich mit Maisbrei, sondern sie verlangten Fleisch. Dazu waren sie bereit, auf Saga zu warten. Das geschah, indem sie sich aus den Teevorräten bedienten – Kaffee konnte sich Saga nicht mehr leisten – und indem sie sich die Wartezeit mit dem Zucker versüßten, der eigentlich für den Maisbrei gedacht war. Zwischendurch besuchte die Oma Onki, und die Schwester besuchte ihren Sohn, der auch in Swakopmund wohnte. Beide hätten wesentlich mehr Wohnraum, um Oma und Schwester zu beherbergen, aber beide legten keinerlei Wert auf „Mitesser“.

Rechtzeitig also, wenn Saga nach Hause kam, waren ihre lieben Besucher wieder zurück, damit sie mit Saga zusammen die Abendmahlzeit einnehmen konnten, die Saga zubereiten durfte.
Saga kochte, putzte, wusch das Geschirr und die Wäsche von Oma und Schwester, während beide den Urlaub an der Küste genossen. Saga klagte E. ihr Leid und E. erkundigte sich, warum die Schwester denn nicht wenigstens etwas zum Haushalt beitrug. In Grootfontein müsse sie doch auch etwas essen.

Saga erklärte: „In Grootfontein wohnt sie bei einer Verwandten, die Lehrerin ist. Früher ist sie auf die Farmen gegangen und hat nach der Maisernte nachernten dürfen.“

E.: „Und warum macht sie das heute nicht mehr? Warum putzt sie nicht wenigstens irgendwo, um sich etwas zu verdienen?“

Saga: „Sie ist doch krank. Sie ist schwerhörig!“
E.: „Man erntet oder putzt doch nicht mit den Ohren, sondern mit den Händen. Die Arme sind doch gesund, oder etwa nicht.“

Saga seufzt: „Ja, das stimmt. Aber sie tut nichts, gar nichts. Sie fegt nicht mal das Zimmer aus. Sie sitzt nur den ganzen Tag herum und trinkt Tee. Und dann meckert sie noch über das Essen und will Brot oder Fleisch. In Grootfontein ißt sie auch nur Maibrei, aber bei mir will sie vornehm essen.“

E.: „Dann schmeiß sie doch raus. Schick sie zu ihrem Sohn.“

Saga vorwurfsvoll: „Das kann ich nicht. Meine Kinder sind in Grootfontein bei den Verwandten, da muß ich halt die beiden bei mir zulassen.“

E.: „Ja, aber Du hast Deinen Kindern Geld für Essen mitgegeben!“

Saga aufgebracht: „Ja, weißt Du, ich verstehe meine Leute nicht. Ich komme niemals mit leeren Händen und schicke auch nicht meine Kinder mit leeren Händen. Sie kommen aber ohne etwas und meckern dann auch noch. Warum machen sie das? – Weißt Du, der einen Lehrerin (auch irgendwie verwandt) hatte ich sogar Geld mitgeschickt für die Oma. Ganze N$50,00 waren es. Die Oma hat das Geld nie erhalten. Die Lehrerin hat das Geld einfach für sich behalten, obwohl sie selbst viel mehr Geld verdient, als ich. – So sind meine Verwandten.“

Aber auch die schlimmsten Ferien gehen mal zu Ende: Leider! Sagas gutmütiger Bruder Sagensus war zufällig in Swakopmund und konnte die N$50,00 mitnehmen, die für die Bahnfahrt nötig waren, um Sagas Kinder zurück in die Nähe ihrer Schule zu bringen. Sagensus entledigte sich pflichtgetreu seiner Aufgabe, aber — die Kinder kamen nicht zurück. Das neue Schuljahr startete, aber statt Lesen, Rechnen oder Schreiben lernten Saga und ihre Kinder die Tatsachen, die das Leben schrieb. Die Familie in Grootfontein hatte die N$50,00 entgegen genommen und ausgegeben, statt 2 Bahnkarten zu kaufen. Es müsse noch mal Geld geschickt werden…

Saga rannte sich die Hacken ab, um mit den Schulen zu unterhandeln. Susa musste in die zweite Primarstufe auf eine neue Schule. Wegen des großen Kinderandrangs konnte es leicht geschehen, dass der Schulplatz vergeben wurde, weil sie nicht auftauchte und genug Kinder auf der Warteliste geführt wurden.

Saga überlegte angestrengt, ob sie nicht doch ihre Tochter Emma von der Schule abmelden solle. Dann hätte sie ein Ärgernis und eine Ausgabe weniger.

Die Diskussion mit Pflichten als Mutter, Zukunftsaussichten der Tochter und Verantwortung wiederholten sich mit E., bis beide Diskussionsparteien aneinander zu verzweifeln drohten und das Arbeitsverhältnis ziemlich schweigsam verlief. Beide Parteien setzten eine mürrische Miene auf, die, von dem gleichen Ausdruck her, auf größtes Einvernehmen schließen lassen könnte.

E. riet Saga, mit der Bahn zu unterhandeln, und die Karten in Swakopmund zu zahlen. Dann bräuchten die Kinder sie nur in Grootfontein abzuholen, bzw. dort den Bescheid abholen, dass gezahlt sei. Doch plötzlich kam die Nachricht, dass irgendwelche Bekannte sie per Auto mitnehmen könnten. Ja, und endlich, 10 Tage nach Schulanfang, kamen die beiden in Swakopmund an.

Wer jetzt gedacht hat, dass Oma und Schwester ihre unbequeme Urlaubsunterkunft aufgeben würden, der befindet sich auf dem Holzweg. Abends musste Susa sich neben Saga ins Bett drängeln, während Emma sich mit Schwester und Oma zwischen die spärliche Wohnungseinrichtung quetschte.

Außerdem waren Anschaffungen für die Schule nötig. Emma und Susa brauchten Schulkleidung, Hefte und Schreibmaterial. E. gab den guten Rat, sich an den katholischen Priester zu wenden und die Sorgen zu klagen. Immerhin gehörte Saga der katholischen Gemeinde an und sang regelmäßig im Kirchenchor. Dazu hörte man ja immer, dass die Kirchen Gelder sammelten für die ärmsten der Armen. Saga traute sich nicht. Das sei ja fast wie betteln!

Aber E. ließ nicht locker: „ Du hast mal gesagt, sie hätten auch zweiter Hand Kleidung. Woher sollen sie denn wissen, wem sie etwas abgeben können, wenn kein Mensch ihnen sagt, dass er in seiner Not keinen Ausweg mehr sieht?“

Schließlich fasste Saga sich ein Herz und sprach tatsächlich den Priester an. Um sich ihr Ehrgefühl zu erhalten, versprach sie auch, die Ausgaben zurückzuzahlen. Das wurde akzeptiert, und ein Abgeordneter der Kirche begleitete Susa zum Einkaufen und versah sie mit allen Schulsachen. – Später, als Saga die erste Abzahlungsrate anbrachte, wurde dankend abgelehnt. Da sie so ehrlich ihr Versprechen mit den Abzahlung einhalten wollte, sah man, dass auf sie Verlass sei, und man wolle ihr in ihrer Armut gern kostenlos helfen.

Saga war überglücklich, dass diese neue Verpflichtung von ihr genommen war. Sie schwebte wie auf Wolken nach Hause und verkündete die frohe Botschaft.

Da kann man sich leicht ausrechnen, dass auch Onki schon recht bald Wind davon bekam. Prompt trieb ihn nach der guten Nachricht zufällig der direkte Weg zu Saga. Er nahm freudigen Anteil an ihrem Glück und bat darum, dass Saga ihre tolle Beziehung zum Priester auch für Petrus spielen lassen solle. Immerhin könne er als Onki sich die Schulausgaben dann sparen – und sie wüsste ja, wie schlecht die Zeiten gerade nach Weihnachten seien, und er sei sooo knapp bei Kasse.

Saga ergriff ein unheiliger Zorn und sie erklärte unumwunden: „ Ich denke gar nicht daran, für Dich zu betteln. Was muss die Kirche von mir denken! Wenn Du etwas brauchst, dann geh gefälligst selbst! Außerdem verdienst Du viel mehr als ich – und ich versorge die ganzen Ferien über schon die Schwester und die Oma. Dazu habe ich jetzt zwei Kinder, um die ich mich kümmern muss. Du hast NUR eines und hast versprochen, auch für Susa zu sorgen.“ – Dem Wortschwall war Onki nicht gewachsen. Er ergriff schleunigst die Flucht, damit er nicht noch an andere unliebsame Vergangenheitsmomente erinnert würde.

Erst 4 Wochen später, als auch schon der Vermieter wegen höherer Miete durch höheren Strom und Wasserverbrauch drohende Bemerkungen von sich gab, kam langsam Bewegung in die urlaubsverwöhnten Glieder der unliebsamen Besucher. Saga musste die Rückreise für ihre lieben Verwandten ausspucken, und endlich, ausgelaugt an Arbeits- und Nervenkraft, geplündert an geldlichen Mitteln und wieder ein paar Kerben tiefer in die Schuldenfalle der Clubkarten-Haie gerutscht, sah Saga trotz der kleinen Hilfe von seitens der Kirche einer trostlosen Zukunft entgegen.

E. nahm sich vor, nie wieder den vollen Weihnachtsbonus auszuzahlen, wenn Saga von Verwandten umlagert wurde, die auf ihre Kosten Urlaub machten. Künftig sollte ein kleiner Teil für den Schulanfang einbehalten werden.