Putzfrau letzten Grades, die Erste

Im Bekleidungsgeschäft, in dem Saga arbeitete, nennen wir es der Einfachheit halber mal „Plunder“, gab es immer wieder Unstimmigkeiten. Die Leiterin, Frau Siedaar, (Übersetzen könnte man den Namen mit “Sieh mal an” eine afrikaanse Frau, kostete ihre Position nach allen Regeln ihrer Würde in der Chefposition weidlich aus. Sie ließ ihre Angestellten genau verstehen, welche Rolle sie im Laden zu spielen hätten. Dabei hatte Saga natürlich die unterste Position inne, denn sie war ja „nur“ Putzfrau.

Putzfrauen kriechen am Boden, deshalb bleibt es nicht aus, dass man auf sie herabschaut. Sie kleben beim Fensterputzen an der Scheibe, deshalb ist man gezwungen, durch sie hindurchzuschauen. Sie wirbeln mit Staub, darum wirken sie selbst wie ein lästiger Fussel. Sie hängen am Besen und gehören am besten in die Ecke hinter den Schrank. Wenigstens haben Putzfrauen durch ihre Überflüssigkeit den Nutzen, dass man sie auf Botengänge schicken kann – vermissen würde man sie bei dem geschäftlichen Handelsumsatz am wenigsten.

Die anderen Damen waren für den Verkauf zuständig. Sie hatten die Aufgabe, den ganzen Tag geschäftig auszusehen, damit niemandem auffiele, dass kaum ein Kunde im Laden stand. Verkaufsstrategisch hat sich dabei erwiesen, dass sie die Kleidungsstücke hin und her schoben oder dass sie geschäftig ab und zu in die hinteren Räumlichkeiten verschwanden. Was der Kunde als Lagerraum vermutete, war aber die Küche. Dort wurde abwechselnd Kaffee gekocht oder getrunken.

Im Ansehen stand dieses fleißige und höchst beschäftigte Ladenpersonal um etliche Stufen höher, als eine Putzfrau. Das hatte auch Saga zu erkennen, die durch ihre Arbeit bedingt zu ihnen hoch schauen musste oder die sie von außen durch die Scheibe als unerreichbare Ausstellungsstücke bewundern durfte.

So geschah es einmal, dass das sämtliche Dienstpersonal zu einer Neueröffnung der Konkurrenz geladen wurde. Saga erschien pünktlich zum Dienst, stand aber vor verschlossener Tür. Das war recht verwunderlich, denn normalerweise waren die Verkaufsräume schon geöffnet und es bewegte sich manchmal sogar zu so früher Morgenstunde schon eine Kundin durch den Laden.
Saga untersuchte alle Reklamezettel an der Tür, aber nirgendwo stand geschrieben, dass sich die Öffnungszeit an diesem Morgen verzögern sollte. Angestrengt versuchte Saga sich an irgendwelche Feiertagsdaten zu erinnern – aber die anderen Geschäfte hatten ja schon geöffnet. Es war 8:30.

Nach einer Viertelstunde angestrengten Grübelns und leicht angestautem Frust, dass man vielleicht firmenbedingt einen freien Tag eingelegt haben könnte, beschloss Saga, nebenan ihren Tageseinkauf zu tätigen: Ein Brot mit Margarine. Sie traf noch eine Bekannte, quatschte einen Moment und kam um 5 Minuten nach 9 wieder zur Einganstür von Plunder. Da wartete das Donnerwetter in Person:

„Wieso kommst du so spät,“ fauchte Frau Siedaar sie an. Du hättest um 8:30 hier sein müssen und erscheinst jetzt erst um 5 nach 9. Das ist Betrug an der Arbeitszeit. Hast du dir das mal überlegt?“

Saga war mehr erstaunt als erschrocken und verteidigte sich: „Ich war pünktlich, aber hier war niemand.“

„Jetzt lügst du auch noch. Du kommst doch jetzt erst hier an. Das sehe ich.“

Jetzt wurde Saga leicht ungehalten: „Ich habe 15 Minuten gewartet, da war hier immer noch niemand. Woher soll ich wissen, wann ihr kommt. Danach habe ich beschlossen, schnell ein Brot zu kaufen und dann nachzusehen, ob endlich jemand da sei, oder ob immer noch niemand hier wäre.“

„Du hast mir nicht zu widersprechen. Du bist nur Angestellte. Jetzt willst du auch noch frech werden. Da kannst du gleich nach Hause gehen und brauchst heute kein Geld.“

……Irgendwie kam Saga die Situation dermaßen seltsam und ungerecht vor, dass sie fast darüber lachen wollte. Anscheinend hatte sie ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle, denn schon prasselte die nächste Tirade auf sie herein: „Du lachst mich aus? Erst kommst du zu spät, dann wirst du frech, und jetzt lachst du mich aus? Jetzt reicht’s. Geh nach Hause! Ich brauche dich nicht mehr! Ich habe genug von dir!“

Saga konnte die Situation immer noch nicht ganz begreifen, denn sie fühlte sich keineswegs schuldig. In ihrer Stimme schwang Unglauben mit: „Du liebe Zeit, ist das ungerecht.“ Dann zuckte sie die Schultern und wandte sich zum Gehen.

Vielleicht dämmerte in diesem Moment der Chefin, wie seltsam sie sich vernahm. Vielleicht interpretierte sie Sagas Gleichmut aber auch als Drohgebärde und fürchtete sich vor einer Anklage an die Gewerkschaft. Jedenfalls handelte sie genauso unverständlich wie vorher und rief Saga zurück und sprach im versöhnlichen Ton: „Nun ja, es kann ja mal passieren. Wir wollen die Sache vergessen und nun geh mal an deine Arbeit!“

Dann verschwand sie im Laden und in ihrem Büro. Saga hatte bei ihrer Beschäftigung mit Staubsauger, Lappen und Besen viel Zeit zum Grübeln. Erst im Laufe des Vormittags hörte sie, dass alle zu einer Neueröffnung eingeladen worden waren. Man hatte vergessen, sie zu informieren, dass sie erst um 9 Uhr zur Arbeit hätte kommen brauchen.