Ergebnisse der vom Weißen Ring unterstützten Stalking-Studie
An der Arbeitsstelle für Forensische Psychologie der Technischen Universität Darmstadt wurde im Zeitraum von 2002 bis 2005 die bisher größte wissenschaftliche Studie zum Thema Stalking im deutschsprachigen Raum erstellt. Das von Prof. Dr. Hans-Georg W. Voß und den Diplom-Psychologen Jens Hoffmann und Isabel Wondrak durchgeführte Projekt war durch die Unterstützung des Weiße Rings ermöglicht worden, staatliche Stellen hatten eine Finanzierung abgelehnt. Die gesamte Studie wird voraussichtlich im Herbst 2005 in der Buchreihe "Mainzer Schriften" des Weißen Ring erscheinen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Lage für Stalking-Opfer in Deutschland sehr problematisch ist, da es an kompetenten Hilfsangeboten mangelt. So wandte sich deutlich mehr als ein Drittel der Betroffenen an die Polizei, um eine Anzeige zu erstatten. Das Resultat war oftmals ernüchternd, denn die Opfer gaben in 69 Prozent der Fälle an, dass sie Schwierigkeiten hatten, der Polizei den Ernst ihrer Situation zu vermitteln. Manche Beamte sagten, sie könnten schlichtweg nichts tun, dem Opfer müsse erst ein Messer im Stecken. Andere bagatellisierten das Problem oder taten es als Privatsache ab. So beurteilten dann auch 80 Prozent der Opfer die Maßnahmen der Polizei als nicht ausreichend oder unangemessen.
Das Stalking war beträchtlich und dauerte bei abgeschlossenen Fällen im Durchschnitt 28 Monate an. Obsessive Verfolgung und Belästigung zeigte sich als ein Phänomen, welches zumeist zwischen Personen statt findet, sich vorher kannten. In nur neun Prozent der Fälle war der Stalker ein Fremder, in 49 Prozent hingegen der Ex-Partner. Die absolute Mehrzahl (81 %) der Verfolger war männlichen Geschlechts. Das Ausmaß von Gewalttätigkeiten bei Stalking war beunruhigend hoch. 39 Prozent der Betroffenen gaben an körperliche Angriffe seitens des Stalkers erfahren zu haben. Jedes fünfte aller befragten Opfer berichtete sogar über schwerere Formen von Gewalt durch Schläge mit der Faust oder durch Angriffe mit Waffen.
Die Auswirkungen des Stalking auf die Betroffenen waren beträchtlich. Zwei Drittel wurden von Schlafstörungen und Alpträumen geplagt. 92 Prozent berichteten über Angst während der Verfolgung bis hin zu panikartigen Zuständen. Die Furcht hielt sogar in den meisten Fällen nach Beendigung des Stalking an. Nur neun Prozent der Opfer, von denen der Verfolger mittlerweile abgelassen hatte, gaben an völlig angstfrei zu sein. Mehr als jede vierte Betroffene wurde dagegen noch immer häufig von Angstgefühlen heimgesucht. Schweres Stalking macht krank. Nahezu jedes vierte Opfer (23 %) war wegen der obsessiven Verfolgung und Belästigung krankgeschrieben. Die Folgen waren auch aus wirtschaftlicher Perspektive immens, den die Fehlzeit betrug im Durchschnitt 61 Tage.
Die Befragung der Stalker ergab, dass es sich hierbei häufig um Personen mit einem höheren Bildungsabschluss handelt. 55 Prozent von ihnen hatten Abitur gemacht oder sogar ein Studium absolviert. Die meisten von ihnen waren ledig (70 %). Mehr als die Hälfte lebten eher isoliert (54 %). Das Alter der Stalker lag zwischen 13 und 58 Jahren und betrug im Durchschnitt 31 Jahre. Auch für die Verfolger stellte das Stalking ein einschneidendes Erlebnis dar. 54 Prozent gaben an, dass es bei ihnen zu Veränderungen in der Persönlichkeit oder der Psyche geführt hatte. Sie berichteten beispielsweise über Depressionen (60 %), über Schlafstörungen (50 %), über Nervosität (41 %) oder über Angst (38 %). Mehr als jeder Dritte von ihnen (38 %) war wegen des Stalking bereits in ärztlicher oder psychologischer Behandlung.
Obgleich ihr Kontaktversuche auch in ihrer eigenen Wahrnehmung so gut wie nie zum Erfolg führten, setzen 96 Prozent der Stalker ihre Annäherungen fort. Als Gründe für ihre Beharrlichkeit nannten sie, dass sie davon ausgingen, dass das Opfer schicksalhaft für sie bestimmt sei (42 %), dass sie glaubten für das Opfer sorgen zu müssen (32 %), dass sie n ihr Glück und ihre Bedürfnisse denken müssten (31 %), dass ihnen von der Person Unrecht angetan wurde (28 %) oder in selteneren Fällen, dass sie ein Gefühl der Macht oder Kontrolle haben möchten (14 %). Hier wird das Ausmaß der Realitätsverzerrung von Stalkern im Blick auf das Opfer deutlich, welches erklärt, weshalb klärende Gespräche so gut wie nie zu einer Beendigung der Belästigung führen.
Insgesamt wurden Fragebögen von 551 Betroffenen von Stalking und von 98 Stalkern ausgewertet. Die meisten der Bögen waren anonym über das Internet ausgefüllt worden, wobei Datensätze, an deren Authentizität die geringsten Zweifel bestanden, von den Forschern ausgeschlossen wurden. Es wurden zudem telefonische Interviews mit 50 Stalking-Opfern durchgeführt, wobei auch Beratungsgespräche stattfanden.
Quelle: Weißer Ring